„Das hab ich nicht gewusst“

Brunnen der Lebensfreude am Rostocker Universitätsplatz

„Natürlich kenn ich das Blücherdenkmal. Aber was heißt schon kennen? Ich weiß, dass es da hinter dem Brunnen der Lebensfreude steht, oft umringt von Touristen, die alles erklärt bekommen. Aber wir Rostocker? Keine Ahnung, warum und unter welchen Umständen es da hinkam. “ 

Solche und ähnliche Sätze machen mich nachdenklich. Was wissen wir eigentlich über unsere Stadt, in der wir oft schon seit Jahrzehnten leben. Kürzlich hörte ich das Gespräch zweier Studentinnen, die an einer Ampel auf Grün warteten. Eine Einheimische mühte sich, ihrer Kommilitonin die in Sichtweite liegende Wallanlage, den Rosengarten und das Konservatorium zu erklären – und mir sträubten sich die Nackenhaare. Es war nicht einmal Halbwissen, das sie von sich gab. Und bald stellte sie fröhlich lachend fest, sie kenne zwar die Kröpi mit der Uni,  den Geschäften und Restaurants, aber ansonsten habe sie null Ahnung von der Stadt. „Aber du bist doch hier aufgewachsen und zur Schule gegangen“, staunte die Begleiterin. Ich sah nur noch ihr Schulterzucken, bevor wir die Straße überquerten. 

Zum Glück kenne ich auch viele Beispiele positiver Art, engagierte Fischköppe und Küstenkinder, die Rostock als die Liebe ihres Lebens bezeichnen – kleine Makel und Macken inbegriffen, denn  schließlich ist perfekt auch langweilig. Doch eine Liebe entsteht nicht im Selbstlauf, sie entwickelt sich und muss immer wieder gefestigt und auf den Prüfstand gestellt werden. Wie leicht werden wir betriebsblind, laufen von A nach B, ohne auf sanierte Fassaden, Speicher, Giebel zu achten oder die gelungene Symbiose von alten und neuen Gebäuden zu bestaunen. Bausünden und misslungene Gebäude machen uns wütend, ebenso wie Geldverschwendung und Dauerbaustellen. Aber in welcher Stadt ist das nicht so? 

Übrigens, das kleine Mädchen mit Eis und gelber Regenjacke auf dem Foto ist unsere mittlerweile zwanzigjährige Enkelin aus NRW, die vor wenigen Tagen erstmals ihren Freund mitbrachte, um ihn  ihren Großeltern vorzustellen, aber auch um ihm Rostock, Warnemünde und die geliebte Ostsee zu zeigen.  Denn durch unzählige Besuche mit und ohne Eltern und großem Bruder ist unsere Stadt zu ihrer zweiten Heimat geworden.  Sie liebt Spaziergänge in der Dunkelheit an der Warnow und freut sich über die leuchtende Stadtsilhuette am anderen Ufer.  Sie kennt sich aus in der Stadt und mit den Öffis, hat ihre Lieblingsplätze in Rostock  und Warnemünde, lässt sich durch die frechen  Möwen ihr geliebtes Fischbrötchen und Fränkis Currywurst  nicht vermiesen,  macht Unmengen von Fotos und Videos. Entdeckungen, Bemerkenswertes, viel Strand,  Wasser und Möwen kommen in den Fundus für Erinnerungen. Wen wundert es, wenn ihr Freund das alles nachempfinden soll. Und wir als Großeltern kennen das alles, denn ihre Eltern und die drei älteren Enkelkinder haben es ebenso gemacht.  „Darf ich wiederkommen?“, fragte zum Abschied der junge Mann und Tom und ich wussten, er war ein neuer Fan geworden und unsere „Kleine“ hatte gute Arbeit als Botschafterin geleistet.

Ein Stadtbummel mit Neu- oder Wiederentdeckungen kreuz und quer durch unsere Stadt – sofern man  noch gut zu Fuß ist – lohnt sich zu jeder Jahreszeit.  Allein der sanierte Rosengarten, ein echtes Juwel der Gartenbaukunst, ist einen Besuch und die über vier Millionen Euro für die Neuanlage wert. Im vergangenen November wurde er nach über einjähriger Bauphase eingeweiht.  4200 Rosen, 200 Hochstämmige und über 6000 Frühblüher-Zwiebeln wurden gepflanzt und werden demnächst zum ersten Mal blühen. (Übrigens, Hobby-Gärtner konnten als Rosen-Retter sich der alten Pflanzen annehmen und sie in den eigenen Garten pflanzen.) Der saftig grüne Rasen, die gepflegten Rabatten, das Plätschern des Springbrunnens aus dem 19. Jh.  vollenden das Bild und nie hätte ich gedacht, dass sich auch die Neubauten entlang der August-Bebel-Straße so harmonisch einfügen würden.  Also, sei nicht immer so skeptisch, wenn du Bauzäune und Straßensperrungen siehst, sage ich mir.  Ob ich auch das künftige Theater und die Brücke nach Gehlsdorf irgendwann so freudig begrüßen werde? Aber das sind die berühmten ungelegten Eier, an die ich vorläufig noch nicht denken mag. 

Es ist nur ein kurzer Weg vom Rosengarten zurück zum Brunnen der Lebensfreude und dem schon erwähnten Blücherdenkmal vor dem Hauptgebäude der Universität, die 1419 gegründet als älteste im Ostseeraum gilt. Jeder Rostocker und Besucher unserer Stadt sollte sich unbedingt die überlebensgroße Bronzestatue genauer ansehen. Nicht nur, weil Marschall Blücher der erste Rostocker Ehrenbürger war und jeder ihn aus dem Geschichtsunterricht bereits kennen sollte, sondern auch, weil die Entstehung dieses Denkmals mit einer äußerst kuriosen Anekdote verbunden war. Dass der berühmte Künstler von Schadow und der Dichter J. W. von Goethe sich mit dieser Statue ebenfalls verewigten, will ich nicht unerwähnt lassen.

Aber nun kommt ein Sahnehäubchen zum Schluss. Während der Brunnen leise plätschert, macht das Carillon, das Glockenspiel am Fünfgiebelhaus Ecke Breite Straße darauf aufmerksam, dass hier, in diesem gerade erst von Grund auf sanierten Gebäude, ein Gesamtkunstwerk wartet. Kürzlich las ich in der Ostsee-Zeitung: “ Feliks Büttner sitzt im La Plaza an seinem Stammtisch, zeichnet und trinkt ein Glas Rotwein.“ Nun sitzt er natürlich nicht ständig dort, aber für die Gestaltung des Restaurants hat der mittlerweile weltberühmte Rostocker Maler und Kussmund-Zeichner der AIDA-Flotte einen Stammtisch bekommen, der nur ihm vorbehalten ist und an dem ihm Essen und Getränke serviert werden – natürlich gratis. Ich will nicht zu viel verraten, und auch keine Werbung machen, aber es ist ein künstlerisches und gastronomisches Erlebnis, hier seine müden Füße unter einen Tisch zu strecken. Und nicht nur das.

Nur ein kleines PS: Macht noch einen kurzen Abstecher ins Souterrain, denn hier findet ihr die WCs. Aber ich wollte ja nicht zu viel verraten.   

Veröffentlicht von hedera77

Bin ein echtes Ostseekind, geboren in Rostock an der Warnow und noch heute glücklich - hier in meinem Elternhaus. Seit 18 Jahren bin ich im Ruhestand, der alles andere als ruhig ist. Immer noch bin ich neugierig - im Sinne von wissbegierig - und teile gerne meine Gedanken mit anderen denkfreudigen Menschen, egal welchen Alters.

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