Von ollen Kamellen und dem Internet

Vor wenigen Stunden hatte mein Handy geklingelt und mir auf dem Display neben dem Symbol für Videotelefon das lachende Gesicht der ältesten Enkelin gezeigt.  Die kleine Urenkelin – in einem Monat wird sie ihren ersten Geburtstag erleben – machte fröhlich Winke-Winke, als sie Uropa Tom und mich auf dem Handy sah, dann krabbelte sie vom Schoß ihrer Mama auf den Fußboden, während wir mit der Enkelin erzählten und per Handy-Kamera der Kleinen zuschauten. 

„Ist das nicht eine tolle Erfindung, so ein Handy?“ Tom nickte lächelnd, obwohl er keine Ahnung hat, wie man so ein Ding bedient. Weder Handy, Tablet noch Computer konnten ihn jemals begeistern, obwohl er alles anderes als ein Technik-Muffel war und ich mit Geduld und all meinem pädagogischen Geschick versucht hatte, ihm dieses Technik-Wunder schmackhaft zu machen. „Es reicht doch, wenn du damit klarkommst“, meinte er und ignorierte sogar das Navi in seinem Auto.

Ich aber hatte bereits Mitte der Neunzigerjahre begonnen, mich mit Computer & Co anzufreunden. Heute, mit über achtzig, denke ich, es war ein großes Geschenk, das ich mir damit gemacht habe.  Unvorstellbar, wie mein Leben ausgesehen hätte ohne den Zugang zur digitalen Welt. Nicht, dass ich zu den Spielern und Zockern gehöre oder zu den Leuten, die mit dem kleinen Display vor der Nase durch die Gegend laufen.  Aber ich brauche sie – das Handy und die großen Geschwister Tablet und Laptop – vor allem als Speichergerät für Adressen, Termine, Notizen, für WhatsApp, Ideen und Fotos,  besonders aber, um meine Wissbegier und Schreiblust zu befriedigen. 

Kürzlich lernte ich im TV Dagmar Hirche kennen, fünfzehn Jahre jünger als ich gehört sie zu den engagierten Jungseniorinnen, die ihre Lebensaufgabe gefunden haben. „Wege aus der Einsamkeit“ heißt der Verein, den sie gegründet hat, um die 65plus-Generation mit der digitalen Welt vertraut zu machen. YouTube-Videos, Vorträge, Workshops sollen helfen, ihnen den Zugang zum Internet leichter zu machen. Ihr Motto „Wir versilbern das Netz“ ist besser zu verstehen, wenn sie mit einem freundlichen Lächeln auf ihren silberweißen Kurzhaarschnitt deutet. Hut ab vor dieser energiegeladenen Frau. 

Und doch weiß ich: Es wird immer Menschen geben, die nicht dafür zu begeistern sind, bzw. denen wichtige Voraussetzungen fehlen: Das Interesse einerseits, aber auch die finanziellen, motorischen und geistigen Bedingungen.  Auch mein Tom wird bis zum Ende seiner Tage keine elektronischen Geräte bedienen können und wollen.  Aber er mag zuhören, liebt es, wenn ich erzähle, vorlese und auf verschiedenste Weise versuche, ihn an unser gemeinsam erlebtes Leben zu erinnern. Denn selbst lesen, das Gelesene speichern, sich dabei konzentrieren – all dies wird zunehmend schwieriger für ihn. Aber er hat ja mich. Und es ist, wie es ist. 

Wisst ihr, wie viele alte Menschen es gibt, die niemanden haben, der sich die Zeit nimmt ihnen zuzuhören und auch gemeinsam mit ihnen in die Vergangenheit und ihr Leben einzutauchen? „Du mit deinen ollen Kamellen,  wen interessiert das denn noch,  wir haben doch genug Probleme heutzutage. So sagen sie dann und meine Erinnerungen interessieren niemanden in meiner Familie.“ Traurige Worte, die ich kürzlich von einer Gleichaltrigen hörte.  Und deshalb bin ich der Meinung, so wichtig Handy und Internetnutzung auch sind, wichtiger ist das „lebendige“ Gespräch mit anderen Menschen, das Zuhören und Reden, das Lachen und vielleicht auch mal das Trösten oder Weinen.  Das sollte in der Familie, kann aber auch im kleinen Freundeskreis oder in einer Gruppe im Seniorenklub bei Kaffee und Kuchen möglich sein. Denn kleine oder größere Wehwehchen und Sorgen sind leichter zu ertragen, wenn man darüber reden oder sogar lachen kann. Aber sich zu Hause verkriechen, sich einigeln, selbst bedauern und den Kopf in den Sand stecken – all das sind keine Optionen. 

Doch dazu muss es einen freundlichen Anschub bekommen: Komm doch mal mit, lass uns einen Spaziergang machen, ein Käffchen miteinander trinken, erzähl doch mal, was bedrückt dich …

Veröffentlicht von hedera77

Bin ein echtes Ostseekind, geboren in Rostock an der Warnow und noch heute glücklich - hier in meinem Elternhaus. Seit 18 Jahren bin ich im Ruhestand, der alles andere als ruhig ist. Immer noch bin ich neugierig - im Sinne von wissbegierig - und teile gerne meine Gedanken mit anderen denkfreudigen Menschen, egal welchen Alters.

Hinterlasse einen Kommentar