Hilfe, meine Jacke ist weg!

Welcher Designer hat sich dieses Ding nur ausgedacht, fluche ich lautlos, als zum dritten Mal meine leichte Steppjacke vom Garderobenständer der Arztpraxis runterrutscht und auf dem Boden landet. Das Wartezimmer ist gut gefüllt und ich mache das, was die meisten Patienten tun. Ich döse vor mich hin und warte. Ein älterer Patient hat es geschafft. „Alles in Ordnung“, verkündet er freudestrahlend seiner Frau, „auf nach Hause!“ Forschen Schrittes geht er zum Garderobenständer – und bleibt ratlos stehen. Er inspiziert die Kleidungsstücke, die alle irgendwie gleich aussehen: blau, dunkelgrau, schwarz. Gesteppt, Kapuzen. „Könnte das vielleicht deine sein?“ , fragt er hilflos und hält den Ärmel einer Herrenjacke hoch. „Nein, nicht die“, kommt die empörte Antwort seiner Frau. Sie steht auf und entdeckt nach kurzem Suchen ihre Jacke. Mühsam wird sie herausgezerrt, wobei andere Lieblingsstücke umgehängt werden oder auf dem Boden landen.

„Aber meine find ich nicht“, jammert der eben noch so glückliche Ehemann. „Wenn es sich doch drehen ließe, dieses blöde Ding.“ Seine gute Laune ist endgültig verschwunden. Besonders als seine Frau genervt die Augen verdreht und dem interessierten Publikum mitteilt: „Das kenn ich. Zu Hause findet er auch nie was.“ Aber helfend eingreifen mochte sie auch nicht, denn sie hat mit ihrem Schal zu tun, der nicht so will wie sie. „Nein, die Jacke ist wirklich weg, damit wird wohl ein anderer jetzt durch die Stadt laufen. War ja auch eine schöne Jacke.“ Traurig und ratlos steht er vor dem Ständer.

„Na dann muss da doch eine hängen, die niemandem von uns gehört. Das muss doch rauszukriegen sein“, ruft eine junge Frau. Zustimmendes Gemurmel, das den Hilf- und Jackenlosen aktiv werden lässt. Wie auf einem Basar wird nun jede Jacke abgehängt und hochgehalten und die Besitzer rufen „Meine!“ Bei der vierten aber ruft seine Frau: „Deine!“ So ein fröhliches kollektives Lachen hatte ich zuvor noch nie in einem Warteraum gehört. Leider aber ist der gute Mann völlig humorlos. Mit verkniffenem Gesicht sucht er das Weite, die Jacke über dem Arm. „Typisch mein Mann“, stöhnt die Gattin.

Veröffentlicht von hedera77

Bin ein echtes Ostseekind, geboren in Rostock an der Warnow und noch heute glücklich - hier in meinem Elternhaus. Seit 15 Jahren bin ich im Ruhestand, der alles andere als ruhig ist. Immer noch bin ich neugierig - im Sinne von wissbegierig - und teile gerne meine Gedanken mit anderen denkfreudigen Menschen, egal welchen Alters.

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