Ein Sirren scheint die Luft zum Vibrieren zu bringen. Es kommt näher und näher – und dann sehe ich ihn an der Bergkuppe. Tief geduckt über dem Motorradlenker rast er heran, gefühlte 200 kmh, dann drosselt er die Geschwindigkeit und schafft es, die rechtwinkelige Kurve zu nehmen. Kopfschüttelnd verfolge ich die wenigen hundert Meter, ehe er aus meinem Gesichtsfeld verschwindet. Unweit von mir waren Eltern mit ihrem etwa achtjährigen Sohn stehen geblieben, der sein Fahrrad schiebend mit blitzenden Augen das Spektakel verfolgt hatte. „Cool!“, meint der Steppke ehrfürchtig, „das möchte ich auch können, wenn ich groß bin.“
„Vergiss es, denk es nicht einmal“, sagt die Mutter“, das ist ein Organspender. Hoffentlich hat er einen Ausweis in seiner Tasche.“
Der Kleine sieht sie verständnislos an. „Was ist das, ein Organspender?“
Ich schlendere mit meinem Hund langsam hinter der kleinen Familie her, möchte schon wissen, wie dem Jungen erklärt wird, was er wissen möchte. Die Mutter beschreibt am Beispiel seines Fahrrads, wie wichtig es ist, dass Räder, Lenker, Rahmen intakt sind und kommt auf die Organe des Menschen zu sprechen, nennt Herz, Lunge, Darm, Nieren, die funktionieren müssen, damit man überhaupt leben und Fahrrad fahren kann. Aber Fahrrad-Ersatzteile könne man kaufen, bei menschlichen Ersatzteilen dagegen sei dies eine andere Sache. Wenn es überhaupt möglich sei, sie zu ersetzen. Ein Herz zum Beispiel könne ein schwerkranker Mensch nur von jemandem bekommen, der gerade gestorben ist und zuvor sein Herz zum Verschenken freigegeben hat.
„Und du denkst, der Motorradfahrer wird sterben?“, fragt der Junge ängstlich.
Die Mutter hebt die Schultern und schweigt. Nun mischt der Vater sich ein. „Was wäre, wenn eben eine Katze, ein Hund über die Straße gelaufen wäre, ein Ball wäre auf die Straße gekullert oder sogar ein Kind wäre unvorsichtig gewesen?“
„Der hätte nicht bremsen können“, ist der Junge überzeugt.
„Nein, und er wäre selbst durch die Luft geflogen und nie mehr aufgestanden“, ergänzt die Mutter.
Der kleine Fahrradfahrer war erschrocken stehen geblieben. „Papa, du würdest nie so schnell mit einem Motorrad fahren?“ Er sieht seinen Vater eindringlich an.
„Nein, nie. Und das besonders nicht, seit wir dich haben. Das leben ist doch viel zu schön.“
