
„Jeder Mensch hat etwas, das ihn antreibt.“ Mit dieser Feststellung fuhr kürzlich eine Straßenbahn durch unsere Stadt. Der Satz ist keine Erfindung der werbenden Genossenschaftsbank, sondern eine allseits bekannte Tatsache. Trotzdem begann ich zu grübeln, nachdem die Bahn an mir vorüber gefahren war. Antriebsarm oder sogar antriebslos zu sein, ist fatal und meist ein Zeichen für eine Krankheit oder eine psychische Störung. Sie kennen sicher auch diesen Zustand, wenn man zu nichts Lust hat, sich nicht aufraffen kann, dringend Notwendiges zu tun. Alle Alarmglocken schrillen dann. Aber ist es nicht genauso fatal, wenn man sich als Getriebener, Gehetzter fühlt, kurz vor dem Burn-out steht? Oder was ist, wenn ich will, aber nicht kann oder darf. Ich stecke voller Pläne, habe Elan und Enthusiasmus – aber ich werde ausgebremst. Stop sagt mein Körper, stop sagt irgendeine Institution, ein Amt …
Nein, ich will nicht philosophieren und belehren an dieser Stelle. Doch es mag auch für Sie interessant sein: Psychologen haben herausgefunden, dass es sechzehn Lebensmotivationen gibt, die uns antreiben oder bremsen und auf die unsere Verhaltensweisen zurückzuführen sind. Und so, wie ein Fingerabdruck einmalig ist und nur zu mir gehört, so ist auch ein ganz bestimmtes Motivationsprofil unverwechselbar für mich. Es bestimmt mein Handeln und deshalb sollte jeder Mensch sein ganz individuelles Profil auch kennen. Also: Weshalb bin ich so, wie ich bin? Was treibt mich an? Was ist mir besonders wichtig im Leben? Ist es Macht und Anerkennung? Ist es Ordnung und Perfektion? Ist es die intakte Familie – oder will ich Rache, Ruhe oder körperliche Aktivität?

Das war nur eine Auswahl der Motivationen und erst die Mischung macht das Individuum aus. Und erst wenn ich mein Motivationsprofil kenne, kann ich sagen: Das bin ich. Es ist höchst spannend, nicht nur über Gott und die Welt nachzudenken, sondern vor allem über sich. Ja, und bei diesem Nachdenken kommt man unweigerlich auf die Frage: Wodurch bin ich so geworden? Was und wer hat mich geformt und nachhaltig beeinflusst?
Mit einem unguten Gefühl erinnere ich mich an den Hausaufsatz, den wir vor etwa sechzig Jahren kurz vor dem Abitur schreiben mussten. Der Titel: Darstellung meiner Entwicklung. Keine Biografie wollte unsere Lehrerin lesen, sondern die Triebkräfte und Stolpersteine meines jungen Lebens kennenlernen. Ein öffentlicher Striptease der Seele – welche 18-Jährige mag das schon.
„Sei du selbst. Alle anderen gibt es schon.“ Aber wer mit seinen Mitmenschen gut auskommen und sie verstehen will, sollte sich auch für die eigenen Lebensmotivationen interessieren, denn sie können uns nicht nur an- und vorantreiben, sondern auch hemmen, stören und Steine in den Weg legen.