
Kürzlich wurde ich gefragt: „Was meinst du, was sollte jeder Mensch mindestens einmal im Leben erlebt haben?“ Seltsamerweise fiel mir zuerst ein, worauf ich auf jeden Fall verzichten möchte. Als lebensbejahende Sicherheitsliebhaberin gehören neben Krieg, Natur- und anderen Katastrophen auch lebensbedrohliche Krankheiten und Unfälle, Fallschirm- und Bungeesprünge dazu, Reisen in Länder, in denen mir Haie beim Schwimmen ein Bein abbeißen könnten … Ich fand kein Ende im Aufzählen weiterer potenzieller Erlebnisse, die mir höchst suspekt wären. Für meinen Angetrauten aber gehört manches davon zu seinen großen Lebensträumen. Einmal in Alaska bei einem Schlittenhunderennen starten, mit einem Containerschiff nach Südamerika reisen, Patagonien bereisen und möglichst eine Stippvisite zum Südpol machen. Also eigene Grenzen testen, Abenteuer erleben. Er liebt solche Gedankenspiele.

Aber was sollte jeder Mensch mindestens einmal im Leben erlebt haben? Jeder Mensch? Sich verlieben. Mit Haut und Haaren, mit Schmetterlingen im Bauch und der Hoffnung, es sei die große, lebenslange Liebe. Und bedingungslos geliebt zu werden. Zu erleben, wie das eigene Kind geboren wird und danach es auf dem Weg ins Leben begleiten können – schön, wenn jeder Mensch, der sich dies wünscht, auch erleben darf. Ein Sonnenuntergang am Meer, eine Arbeit zu haben, die Freude macht und anerkannt wird, nicht nur einen Job. Ein gutes Essen mit Freunden, die Stärke einer Familie spüren, den Stolz und die Erleichterung spüren, eine wichtige Prüfung bestanden zu haben. Großmutter oder Großvater geworden zu sein und den neuen Erdenbürger das erste Mal im Arm zu halten.
Und – eine tiefe Zufriedenheit im hohen Alter empfinden, denn die Lebensbilanz stimmt. Eine Horrorvorstellung wäre für mich, im Alter zurückzublicken, nach Höhepunkten zu suchen, nach Erlebnissen, die das Leben bereichert haben – und nichts zu finden. So wie Kurt Tucholsky in seinem Gedicht „Danach“ schreibt: „Das Leben war zum jrößten Teile vabrühte Milch und Langeweile. Darum wird beim Happyend im Film jewöhnlich abjeblendt.“