
Spätestens, wenn das letzte Kalenderblatt umgeschlagen war, packt mich ein besonderer Tatendrang. Es ist, als ob ein alter Motor nach monatelangem Stillstand zum Leben erweckt wird und knatternd und schnaufend seinen Betrieb aufnimmt. Ich suche nach zwei möglichst gleichen Kartons, kaufe Weihnachtspapier, Schleifenband, besorge Tannengrün – und vor allem das, was der Nikolaus bringen soll. Denn die Pakete müssen noch einige hundert Kilometer zurücklegen und pünktlich zum 6. 12. bei den beiden Töchterfamilien sein.
Der Nikolaus, so höre ich den Opa stöhnen, sind die Enkel mittlerweile nicht zu groß für sowas? Zu groß? Wann ist man denn zu groß für ein Geschenk vom Nikolaus, denke ich und überlege schon, was ich denn ihm in den Schuh legen werde. Nein, ich will es mir nicht verderben mit dem Bischof Nikolaus, der immerhin der Schutzpatron vieler ehrbarer Menschen sein soll. Ich denke nur an Seeleute, Bäcker, Bauern, Bierbrauer und Kaufleute.
Aber dann, die vier „Kleinen“ waren mir mittlerweile alle über den Kopf gewachsen – und ich bin immerhin 1,70 groß – kam ich selbst auf die Idee, die Enkel doch mal zu testen. Würden sie sich beim Rostocker Nikolaus etwa beschweren, wenn am Dienstag kein Päckchen eingetroffen war? Oder hatte ich recht mit meiner Vermutung, der Tag, der mir Jahr für Jahr Kopfschmerzen bereitet, habe für sie überhaupt keine Bedeutung mehr. Also: Schluss mit dem Klein-Kinder-Nikolaus, befahl ich mir.
So verging der Samstag, der Sonntagvormittag … Aber ich hätte nicht für möglich gehalten, dass ich mir selbst einen „Beinhacker“ gestellt hatte. Mein schlechtes Gewissen wuchs von Stunde zu Stunde. Was bin ich doch für eine Raben-Oma. Was tue ich den Enkeln nur an? Und vor allem mir? Am Sonntagabend hielt ich es nicht mehr aus.Ich stöberte zwei Kartons auf, füllte sie mit Kleinigkeiten, die ich für den Fall der Fälle im Haus hatte, schmückte sie vorweihnachtlich und legte eine freundliche Entschuldigung vom trödeligen, gestressten Nikolaus obenauf, der es nicht geschafft hatte, die Päckchen pünktlich auszuliefern. Am nächsten Vormittag fuhr ich zur Hauptpost aber war mir sicher: Morgen kommt der Nikolaus, aber das wird die Post niemals schaffen! So dachte ich und war dabei irgendwie traurig.

Aber bereits am nächsten Nachmittag hörte ich die fröhlichen Stimmen der Enkel aus Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein am Telefon. „Omi, wir haben ein Päckchen vom Rostocker Nikolaus bekommen. Ganz lieb, dass er immer noch an uns denkt.“ Und unsere Große, die für ein Jahr im Amiland lebte, schickte ein Foto, auf dem ihre kleinen Schutzbefohlenen ihre Stiefel putzen. „Sie kannten bislang keinen Nikolaustag. Ich hab ihnen von unserer Tradition erzählt und heimlich ihre Schuhe gefüllt. War das eine Freude – für sie und für mich“, so schrieb sie.
Ja, es stimmt: Enkel sind das Dessert des Lebens – und die Post ist (manchmal) besser als ihr Ruf.